Hallo Antje,
vielen Dank für das Feedback und den Hinweis auf Liquid Democracy und Liquid Feedback.
Von beiden Projekten hatte ich zwar schon gehört, aber sie mir länger nicht mehr angeschaut. Tatsächlich glaube ich aber, dass sie auf einen anderen Use-Case abzielen.
Würd mich interessieren, ob du deine Software für andere Arten von Diskussionen konzipiert hast?
Ja, nämlich für eher *informellere Diskussionen*, die entweder gar nicht oder zumindest nicht von Anfang an auf eine Entscheidungsfindung hinauslaufen. Also letztlich für Diskussionen, wie sie in Gruppen wie dieser hier auf der FSFE-Mainlingliste stattfinden: Eine Gruppe von Menschen tauscht sich über ein Thema aus und unterschiedliche Meinungen und Argumente treffen aufeinander. Menschen schildern ihre Perspektive, andere ergänzen oder widersprechen. Grundsätzlich funktioniert das hier auch noch ganz gut, aber trotzdem wird die Diskussion nach einigen Antworten **tendenziell schnell unübersichtlich** und fasert sich in Teildiskussionen auf. Für Menschen, die den Anfang verpasst haben oder Monate später die **Diskussion nachvollziehen** wollen, macht es das das schwierig. Und dann sinkt die Qualität und.
Ich glaube eine gute Diskussionssoftware sollte die Teilnehmer:innen dabei *unterstützen, eine Diskussion so konstruktiv wie möglich* zu führen. Formalisierung (Unterscheidung in Pro- und Kontra-Argumente, explizite Abfrage von Quellen etc.) kann da aus meiner Sicht helfen.
Ein weiterer von mir gewünschter *Anwendungsfall* wäre ein *Kommentarsystem unter Medienbeiträgen*. Dort wird ja zur Zeit oft kommunikativer Müll abgekippt. Sachliche Kritik geht dann oft im Rauschen unter. Formalisierung könnte hier zum Beispiel dabei helfen, Redundanz oder inhaltsleeres Geblubber zu erkennen und dann entsprechend die (teilautomatische) Moderation zu erleichtern.
Ich erhoffe mir davon auch einen didaktischen Effekt: Dass Menschen den Unterschied zwischen überzeugend dargelegten Argumenten und bloßen Behauptungen erkennen und sich dadurch a) nicht mehr so leicht von diesen Behauptungen beeindrucken lassen und b) auch *höhere Ansprüche an ihre eigenen Äußerungen* stellen.
Zusammenfassung: mir schwebt eine Kommunikationssoftware vor, die deutlich *niedrigschwelliger* ist als das, was Liquid Democracy (im Vortrag) vorstellt.
Semi-Offtopic-Hinweis: Zum Problem der Entscheidungsfindung habe ich mit einem Kumpel zusammen auch ein Tool gebaut, mit dem sich unter anderem das systemische Konsensieren hoffentlich sehr intuitiv umsetzen lässt. Video:
https://video.dresden.network/w/9e2Cavpdjhm7bxJBLnWJQK
(Ich sehe 'Diskurs' und 'Enscheidungsfindung' aber als zwei getrennte Probleme)
Gruß, Carsten
On 18.12.21 16:45, Antje Kazimiers wrote:
Hallo Carsten,
Klasse Thema, vielen Dank für den Aufschlag!
On 12/18/21 3:51 PM, Carsten Knoll wrote:
Dieses ganze Thema beschäftigt mich schon eine ganze Weile. Auf dem 35C3 (2018) habe ich einen Lightningtalk dazu gehalten:
https://media.ccc.de/v/35c3-9568-lightning_talks_day_4#t=198
Einen ersten Implementierungsversuch einer eigenen Umsetzungs-Idee dazu gibt es unter:
https://github.com/cknoll/django-sober
aber ich bin mir bewusst, dass dieser Ansatz noch nicht überzeugend ist und ggf. auch nie wird.
Aber mal ganz grundsätzlich:
Mich wundert, dass es für die aus meiner Sicht so offensichtlichen Missstände ("Alles was scheitert, scheitert an Kommunikation") bisher keine (mir bekannten) guten und vor allem systematischen Lösungen zu geben scheint.
Wie seht Ihr das?
Es gibt da schon auch andere Ansätze und Software.
Auf dem 26C3 gab es den Talk "Liquid Democracy - Direkter Parlamentarismus – gemeinsam verbindlich entscheiden"
https://media.ccc.de/v/26c3-3464-de-liquid_democracy
Es geht um die Software adhocracy, die wurde eine zeit lang sehr rege und erfolgreich für Diskussionen genutzt (Enquete Kommission für ein digitales Thema, Thema für ein Zeitmagazin und eigene Plattformen für bestimmte Projekte), den aktuellen Stand des Projekts kann ich aber nicht einschätzen.
Es ging dabei immer um strukturierte Debatte. Es gab Themen, die konnten kommentiert werden, die Kommentare konnten "hochgevotet" werden, und die Kommentare mit den besten Bewertungen erschienen zu Beginn der Diskussion. Es gab auch Abstimmungen und man konnte an Texten als Ergebnis einer Diskussion arbeiten. Also die Idee war denke ich, es für politische Debatten zu nutzen, wo in der Regel ein Text als Ergebnis herauskommt (10 Punkte Plan, Gesetzesvorlage etc.)
Meiner Erinnerung nach klappte alles bzgl Diskussion und Abstimmung sehr gut, die Arbeit am Text war dann ein bißchen sperriger und habe ich weniger in Gebrauch gesehen.
Es gibt auch noch das Projekt LiquidFeedback, dazu kann ich aber nicht viel sagen.
https://liquidfeedback.com/de/
Würd mich interessieren, ob du deine Software für andere Arten von Diskussionen konzipiert hast? Auf den 1. Blick schön übersichtliche UI, die Unterscheidung in Pro und Kontra Argument gab es so in Adhocracy glaube aber nicht.
Viele Grüße
Antje
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