Hallo Christian,
auch ich beteilige mich, wenn auch nicht sehr exponiert, an Oekonux, daher auch meine .02 EUR zu diesem Thema.
* Christian Selig christian.selig@bnv-bamberg.de [20020306 08:37 +0100]:
Bei Gelegenheit Liste wechseln oder als PM erscheint mir langsam sinnvoller :-)
mailto:liste@oekonux.de :-)
Benni Baermann wrote:
Angesichts der treibenden Kräfte im Projekt und deren politischen Gesinnung bekommt man rasch den Eindruck, hier wollen ein paar unverbesserliche Marxisten die Freie Software als Zugpferd für ihre verstaubten Ideen vergewaltigen.
Na, ich finde das was wir machen alles andere als verstaubt. Aber das ist sicherlich Geschmacksache.
Naja, vielleicht nicht die Ideen der Leute, aber die Basis für diese Ideen, die Marxistische Theorie.
Verstehe ich Dich richtig, dass Du in etwa folgende Gedankenfolge in der Oekonux-Diskussion beobachtest zu haben glaubst: Die Marxistische Theorie sei die unhinterfragte Ausgangsbasis der Diskussion, durch die präformiert alles andere, z.B. das Phänomen der Freien Software betrachtet würde? Die Teilnehmer an der Diskussion hätten, bevor sie sich mit Freier Software beschäftigten, schon ein gefestigt marxistisches Weltbild gehabt, in das nun alles und jedes eingefügt werden muss?
Falls Du diese Befürchtung hast kann ich Dich wohl beruhigen. Ich habe bisher nicht feststellen können, dass in der Oekonux-Diskussion gewissermaßen immer schon "vorher", durch Rückgriff auf eine wie auch immer geartete Theorie, gewusst wurde, wie das Ergebnis nach der Diskussion aussehen würde. Es ist auf keinen Fall so, dass Freie Software nur ein beliebiges Thema unter vielen wäre, an dem sich alte Marxisten nun abarbeiten würden, die aber mit Freuden auch jedes andere Theme als Projektionsfläche akzeptieren würde. Allein die in vielen Punkten kontroverse und auch nicht immer zu einem Ergebnis oder zumindest zu einer gemeinsamen Sicht des diskutierten Themas führende Diskussion ist, so glaube ich, Beweis genug, dass es bei Oekonux nicht darum geht, Freie Software "als Zugpferd [...] zu vergewaltigen" (igitt!).
Das würde ich mir wünschen. Als ich von Ökonux zum ersten Mal hörte, hatte ich die Hoffnung, dass sich jemand über wirtschaftliche und soziale Konsequenzen Freier Software Gedanken macht.
Und genau das passiert auch. Zu klären wäre allerdings, wie weit Du hier die Begriffe "wirtschaftlich" und "sozial" fassen möchtest. Wenn diese ihre Grenzen an der bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung fänden, müsste Dir in der Tat die Oekonux-Diskussion als das Thema verfehlend vorkommen.
Es existieren ja glücklicherweise Organisationen wie z.B. die FSFE, die sich der sicher nicht immer lustige Aufgabe angenommen haben, Lobby-Arbeit und ähnliche, innerhalb des bestehenden Systems richtige und notwendige Tätigkeiten zu machen. Deren "unideologische" und pragmatische Herangehensweise deswegen aber als die zulässige zu betrachten, hielte ich für wenig hilfreich.
Wenn dann aber schon politisch stark vorgefärbte Leute mitmischen, dann gibt es eine "GPL-Gesellschaft":
Diesem Argument kann ich leider nicht ganz folgen. Was genau meinst Du mit: "dann gibt es eine 'GPL-Gesellschaft'"? Dieser, übrigens stark umstrittene Begriff, dient lediglich als zunächst begrifflich nicht ausgefüllter Kristallistationskern, um den herum sich die Diskussion bilden kann (oder auch nicht).
Ich halte die Ökonux-Zukunftsvorstellungen für gefährliche Strukturexpolationen.
Das ist eine Beobachtung, die natürlich innerhalb der Oekonux-Diskussion auch schon mehrfach aufgetaucht ist. Wie wäre es, wenn Du Dich einfach auf liste@oekonux.de anmelden würdest? ;-)
Um konstruktiv zu sprechen: Ich würde mich wesentlich besser fühlen, wenn ihr heuristische Techniken (von Dörner, de Bono, ...) anwenden würdet. V.a. de Bono kriegt es auf die Reihe, Techniken zur Vermeidung von Denkfehlern in gut aufgemachter Art und Weise zu vermitteln (siehe de Bono, "Thinking Course").
Klingt interessant; wird hiermit auf die Leseliste gesetzt :-)
Verstehe ich Dich richtig, dass es Dir stark um eine Art Methoden-Kritik geht und dass Du bei Oekonux die "falsche" verwendet siehst?
Das ist ungefähr die selbe Stufe der Auseinandersetzung, wenn irgendwelche Manager über freie Software sagen, kostet nix, muss also Scheisse sein, ohne Ahnung zu haben.
Du missverstehst meine Aussage. Ich meine, dass ein Projekt mit einer Art wissenschaftlichen Zielsetzung nicht von politischen Hintergrundgedanken beeinflusst werden sollte.
Hier bin ich doch etwas erstaunt, wie Du auf die "wissenschaftliche Zielsetzung" von Oekonux kommst. Habe ich da etwas überlesen?
Übrigens ist es natürlich, wie Benni auch schon bemerkt hat, Ideologie, den eigenen Standpunkt oder die eigene Methode als von historisch-politischen Vorbedingungen unabhängig darzustellen.
Die Trennung von Wissenschaft und Staat und von Ideen und Interessen sind die Grundfeste der Wissenschaft gewesen.
"Gewesen" ist gut :-) Abgesehen davon, dass ich die Parallelisierung der Paare Wissenschaft und Staat sowie Ideen und Interessen für nicht sehr glücklich halte, ist dieser ideale Zustand wohl nur schierig zu erreichen. Eine völlig interessenlose Wissenschaft, die auch nicht die eigenen Vorbedingungen, sowohl fachlich als auch historisch, politisch und gesellschaftlich, reflektiert, ist doch eher eine Schreckensvorstellung. Die aktuell durch die öffentliche Diskussion geisternden Biowissenschaftler sollen ja wohl so etwas wie das Idealbild eines solchen interessenlosen, nur vom Ziel des Erkenntnisgewinn geleiteten Wissenschaftlers abgeben. Naja ...
Jedes mal, wenn sie missachtet wurden, ob im Großen (NS-Zeit, kirchliche Repression neuer Erkenntnisse ...) oder im Kleinen, ist etwas furchtbar dummes herausgekommen.
Richtig. Daraus aber zu folgern, dass das rein wissenschaftliche, funktionale und interesselose Denken von der Hervorbringung von "furchtbar Dummem" gefeit wäre, halte ich für falsch.
Ich habe nix gegen neue Ideen. Aber wenn sie schon von vornherein politisch belegt sind bzw. wenn die Ergebnisse von den führenden Kräften im Projekt für deren Zwecke reinterpretiert werden, finde ich das echt schade.
Ich kann Dir versichern, dass so etwas weder beabsichtigt noch der Fall ist. Übrigens ist auch die Rede von "führenden Kräften" für mich etwas irrietierend. Zumindest meine Vorstellung von einer freien und offenen Diskussion, und als solche verstehe ich Oekonx, wäre es, dass eben keine "führenden" oder sonstwie wichtigeren Menschen und Postionen etabliert werden können.
<altelaier mode="on"> Die PISA-Studie</altelaier> hat uns nicht gezeigt, dass die deutschen Schüler nix gelernt haben. Sie haben einfach das falsche gelernt, z.B. konstruktives, kreatives und aktives Denken.
Das klingt interessant: Warum sind diese drei Arten des Denkens "das falsche"? Abgesehen davon, dass es neben diesen sicher noch andere Arten des Denkens gibt, die zu berücksichtigen wären, interessiert mich, was denn dann "das richtige" wäre.
Kritisches Denken ist keine Qualität, sondern eine schlechte Eigenschaft, weil man lieber eine neue Idee zerreißt als selber eine zu entwickeln.
Das nenne ich einmal eine steile These :-) Gegethese: ohne Kritik der vorhandenen Ideen und der Auseinandersetzung mit diesen und ihrere Bewertung ist es unmöglich, eigene zu entwicklen.
Das spart Gedankenkraft, die wir lieber für unendliche Diskussionen verwenden. Deswegen oben mein Literaturvorschlag.
Ist bereits notiert.
Nein, das Thema Freie Software ist nicht technisch, es ist durchaus politisch.
AOL :-)
Du darfst Dich gerne mit dem Thema auseinandersetzen, aber ohne Brille. Das ist das mindesteste was man erwarten kann, wenn jemand von "auseinandersetzen" spricht. Es gibt eine objektive Wahrheit,
Diese Ansicht teile ich nicht. Es gibt keine objektive, brillenlos gewonnene Wahrheit. Wer das behauptet, trägt eine tiefrosa gefärbte Brille.
aber ob manche der Ökonux-Leute die wirklich finden möchten,
oder ob sie es überhaupt für sinnvoll halten, nach einer solchen zu suchen...
wenn sie unbewusst ihre eigenen ideologischen Gedanken damit stützen möchten, das müsste ich erst detaillierter untersuchen.
Tu das. Noch ein (letztes) Mal daher die Einladung nach liste@oekonux.de
Auch wenn diese Mail sehr lange: Ich tue lieber was, als drüber zu reden.
Sehr gut :-)
Gruß, Lutz