[FSFE PR][DE] Softwarepatente: Offener Brief an den künftigen Deutschen Bundespräsidenten

Joachim Jakobs press at fsfeurope.org
Mon Jun 14 22:44:45 CEST 2004


Lieber Herr Professor Köhler,

"Deutschland soll ein Land der Ideen werden" haben Sie in der Rede nach
Ihrer Wahl zum Deutschen Bundespräsidenten formuliert. - Diese Ideen zu 
patentieren, haben Sie nicht verlangt! – unserer Ansicht nach aus gutem 
Grund. Denn nur mit dieser Einstellung werden wir dem Lissabon-Ziel der 
Staats- und Regierungschefs näher kommen, bis 2010 "wettbewerbsfähigste
wissensbasierte Wirtschaft" zu werden.

Tatsächlich unternimmt Europa - mit massiver Unterstützung von
Deutschland - das genaue Gegenteil, von dem, was getan werden sollte:
Mitte Mai hat der Ministerrat der Europäischen Union bekräftigt, ein 
Gesetz zum Einklagen von Lizenzgebühren aus Softwarepatenten schaffen 
zu wollen - entgegen der Bedenken von 30 Informatikprofessoren in Europa 
[1], der Monopolkommission [2], dem MIT [3], der Boston University 
School of Law [4] und fachkundigen Personen aus Politik, Wirtschaft und 
Wissenschaft [5].

Nun patentieren Softwarepatente keine Softwareprogramme (der Quellcode 
ist nämlich durch das Urheberrecht geschützt!), sondern sie verhindern, 
dass kreative Sperrgebiete von Softwareentwicklern betreten werden, die 
zu langsam mit dem Patentantrag waren. Es handelt sich in Wahrheit also 
um Software-Ideen-patente.

Ich möchte den entstehenden Schaden für Staat, Wirtschaft und 
Gesellschaft an drei Beispielen dokumentieren: Hätte es Mitte des 
18. Jahrhunderts schon Ideenpatente gegeben, hätte Joseph Haydn 
ein „Musikstück aus vier Sätzen mit Gesang und Melodie“ patentieren 
können. Die Folge: Haydn hätte für jede von Mozarts 41 Sinfonien 
Lizenzzahlungen in beliebiger Höhe verlangen können.

Ähnlich ist es heute. Der Telefonie übers Internet wird zugetraut, ihren
Umsatz bis 2007 zu vervierfachen - ein wahrer Wachstumsmarkt also. In
den USA beschäftigen sich 880 Patente mit diesem Thema. De facto
entsteht ein riesiges kreatives Sperrgebiet mit dem neue Lösungen
verhindert werden.

Das wäre etwa so, wie wenn Tim Berners Lee - der Erfinder des World
Wide Web - seine einmalige Idee hätte schützen lassen wollen: Das WWW
wäre einem engen zahlungskräftigen Club von Auserwählten vorbehalten
geblieben.

Wir sind selbstverständlich mit Ihnen einer Meinung, dass die 
Gesellschaft die Leistung eines Softwareentwicklers angemessen 
honorieren und belohnen muss - sonst fehlt dem Einzelnen der Anreiz, 
seine Fähigkeiten der Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen. Um 
Software zu schützen, gibt es bereits ein funktionierendes Urheberrecht. 
Zusätzliche Softwarepatente sind da eher hinderlich.

Mit den besten Wünschen für Ihr künftiges Amt


Georg Greve




[1] 
http://www.greens-efa.org/pdf/documents/SoftwarePatenting/petitiontoEP_EN.pdf 

[2] http://swpat.ffii.org/archiv/zitate/index.de.html#mopoko0207
[3] http://www.researchoninnovation.org/patent.pdf
[4] http://www.researchoninnovation.org/swpat.pdf
[5] http://swpat.ffii.org/archiv/zitate/index.de.html



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Georg C. F. Greve                                 <greve at fsfeurope.org>
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