Experten für freie Software Wart ihr jemals, vielleicht sogar schon öfter, enttäuscht, weil ihr feststellen mußtet, dass ein sogenanntes "Freies Softwareprojekt" gefördert wurde, obwohl es gar nichts mit Freier Software zu tun hat? Die Europäische Union wird schon bald neue Projekte fördern und ihr könnt dabei helfen, solche Maskeraden zu verhindern, indem ihr Externe Experten werdet. Das macht es schwieriger, zu behaupten, dass nichts getan werden könnte: Denn eure Fähigkeiten werden gebraucht, um die eingereichten Projekte zu beurteilen. Das Fünfte Rahmenprogramm (FP5) der Europäischen Kommission braucht Experten. Von den Kandidaten, die sich über das Online-Formular gemeldethaben, besitzen nur wenige ein wirkliches Verständnis dafür, was Freie Software ist und wie sie funktioniert. Obwohl alle Experten akzeptiert werden, werden nur wenige tatsächlich zur Evaluierung der einzelnen Projekte herangezogen werden. In jedem Fall sprechen die Experten nur für sich selbst, nicht für ihren Arbeitgeber oder die Organisation der sie angehören. Anfang Oktober 2001 werden im Zuge des Rahmenprogramms zur Schaffung einer benutzerfreundlichen Informationsgesellschaft einige Projekte zur Evaluierung eingereicht werden. Wer wird dann, abgesehen von technischen Belangen, in der Lage sein zu beurteilen,ob ein sogenanntes Freies Softwareprojekt nicht nur ein Marketingversuch ist, der sich die neuesten Schlagworte zunutze macht? Die einreichenden Kandidaten wissen, dass die EU Projekte für Freie Software wegen ihrer impliziten Freiheit, Unabhängigkeit und dem Aspekt des Teilens fördern will. Die Versuchung, zu behaupten sie hätten die nötigen technischen und menschlichen Ressourcen um ein Freies Softwareprojekt durchzuführen wird für sie groß sein, auch wenn sie nicht die geringste Idee haben, worum es eigentlich geht. Wenn keiner der Experten tatsächlich über die Projektentwicklung im Bereich Freier Software Bescheid weiß, wie soll die Europäische Kommission in der Lage sein, dies richtig zu beurteilen? An Beispiel soll die Situation verdeutlichen. Nehmen wir an, das GnuPKI Projekt und das campware Projekt reichen Ansuchen ein, die in technischer Hinsicht gleichwertig sind (abgesehen davon, dass sie sich inhaltlich unterscheiden). Nehmen wir weiterhin an, dass die Kommission eines der beiden Projekte auswählen muß, und zwar ohne die Hilfe irgendwelcher Experten für Freie Software. Wahrscheinlich wird GnuPKI bevorzugt werden, da sich dieses Projekt besser vermarktet. Nun stellt sich aber heraus, dass jemand der mit Freier Software vertraut ist, einige Anomalien im Hinblick auf GnuPKI feststellen wird müssen. Zuallererst handelt es sich dabei nicht um ein GNU-Projekt, obwohl der Name dies suggerieren würde. Wenn man davon ausgeht, dass das GNU-Projekt die zentralen Komponenten der meistbenutzten Freien Betriebssysteme (Debian, RedHat,Mandrake etc.) stellt, so zeigt dieser Fehler eine verstörende Ignoranz. Bei Freier Software geht es auch um die Kommunikation mit heterogenen Entwicklergruppen, dies ist also ein Punkt der gegen GnuPKI spricht. Außerdem hat der GnuPKI Sicherheitsexperte, Eduard Tric, niemals an einem Freien Softwareprojekt teilgenommen und von der bereits entwickelten Software sind auch keine Pakete verfügbar. Dies zeigt einen Mangel an Verständnis für das Entwicklungsmodell. Berücksichtigt man diese Fakten, so muß man die Chancen von GnuPKI auf Erfolg weit geringer einschätzen als jene von campware. Nun sollte man nicht erwarten, dass alle Fälle so einfach zu beurteilen sind wie dieses Beispiel. Ein Projekt zu evaluieren, für die EU-Kommission oder das eigene Unternehmen, erfordert in der Regel eine genauere Studie. Wenn man dabei ein Freies Softwareprojekt betrachtet, so ist dessen rechtlicher Status von wesentlicher Bedeutung, wobei es im speziellen auf die urheberrechtlichen Aspekte ankommt, da unterschiedliche Lizenzen verwendet werden und viele Unternehmen involviert sind. Die Fähigkeit der Bewerber, mit den Entwicklergruppen über das Netz zu kommunizieren, die Fähigkeit einen Dialog zu etablierenund ihr gegenwärtiges Engagement in der Free Software Community ist ebenfalls von größter Bedeutung. Diese Punkte sind nicht technischer Natur, sie haben in nicht-freien Softwareprojekten keine Entsprechung und können daher nur von Leuten beurteilt werden, die sich aktiv für Freie Software engagieren beurteilt werden. Übersetzung (1. Versuch) von Georg Jakob